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Wis­sens­trans­fer zwi­schen For­schung und Pra­xis: War­um es auch auf Sei­ten der Pra­xis hakt

Wenn über feh­len­den Wis­sens­trans­fer gespro­chen wird, fällt der Blick meist auf die For­schung: zu theo­re­tisch, zu abge­ho­ben, zu wenig anschluss­fä­hig an den All­tag der Pra­xis. Doch ehr­li­cher­wei­se: Das Pro­blem liegt nicht nur auf die­ser Sei­te. Denn Wis­sens­trans­fer funk­tio­niert nur, wenn bei­de Sei­ten dafür auch offen sind.

Dabei las­sen sich auf Sei­ten der Prak­ti­ker grob zwei Grup­pen unter­schei­den: die, die nicht wol­len, und die, die nicht kön­nen.

Die ers­te Grup­pe umfasst die­je­ni­gen, die über­zeugt sind, „alles schon zu wis­sen“. Men­schen, die seit Jah­ren in ihrem Bereich tätig sind, ihre Abläu­fe ken­nen, auf Erfah­rung set­zen – und die sich kaum vor­stel­len kön­nen, dass For­schungs­er­geb­nis­se ihnen noch etwas Neu­es brin­gen könn­ten. For­schung wird hier oft als etwas betrach­tet, das „eh nichts mit der Pra­xis zu tun hat“, zu abs­trakt ist oder sogar als Bedro­hung emp­fun­den wird: weil sie Rou­ti­nen infra­ge stellt, Unsi­cher­hei­ten sicht­bar macht oder den beque­men Sta­tus quo stört.

Die­ses „Nicht-Wol­len“ kann schie­re Arro­ganz sein, aber auch ein ein Schutz­me­cha­nis­mus. Wer täg­lich mit Ver­ant­wor­tung, Druck und schnel­len Ent­schei­dun­gen zu tun hat, sucht nach Sta­bi­li­tät – und nicht nach neu­en Fra­gen. Sich auf wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se ein­zu­las­sen, bedeu­tet aber genau das: die eige­ne Pra­xis zu hin­ter­fra­gen. Und das ist unbe­quem, gera­de dann, wenn man das Gefühl hat, ohne­hin schon im Aus­nah­me­zu­stand zu arbei­ten.

Die zwei­te Grup­pe wür­de durch­aus wol­len, stößt aber auf ganz ande­re Gren­zen. Sie kann schlicht nicht. Zeit, Res­sour­cen und Zugän­ge feh­len. Wer nach 14 Stun­den im Ein­satz oder in der Pla­nung eines Fes­ti­vals erstaun­li­cher­wei­se doch mal Fei­er­abend hat, liest kei­ne wis­sen­schaft­li­chen Jour­nals mehr. Und selbst wenn man woll­te – vie­le Stu­di­en sind schwer zugäng­lich, in Fach­spra­che geschrie­ben, hin­ter Pay­walls ver­bor­gen oder in inter­na­tio­na­len Daten­ban­ken ver­steckt. Hier schei­tert der Wis­sens­trans­fer nicht an Hal­tung, son­dern an Struk­tu­ren.

Und dann gibt es eine drit­te, durch­aus gro­ße Grup­pe: die „Abwar­ten­den“. Sie ver­las­sen sich dar­auf, dass jemand ande­res – ein Schu­lungs­an­bie­ter, ein Fach­ver­band, ein Refe­rent in einem Semi­nar – die For­schungs­ar­beit für sie über­setzt, fil­tert und „pra­xis­ge­recht auf­be­rei­tet“. Das ist nach­voll­zieh­bar, denn so wer­den kom­ple­xe The­men greif­bar und nutz­bar. Doch die­se Form des pas­si­ven Wis­sens­er­werbs hat auch eine Kehr­sei­te: sie ver­lang­samt den Fluss von neu­en Erkennt­nis­sen und birgt auch das Risi­ko der „gefil­ter­ten“ Infor­ma­tio­nen.

Ein inter­es­san­ter Aspekt in die­sem Zusam­men­hang ist der Umgang mit „Anwen­dern“ in moder­nen For­schungs­pro­jek­ten. In nahe­zu allen aktu­el­len För­der­pro­gram­men wird betont, wie wich­tig die Ein­bin­dung der Pra­xis ist – Die „Anwen­der“ sind fes­te Bestand­tei­le von For­schungs­de­signs. Doch auch hier zeigt sich: Nur weil jemand „Anwen­der“ in einem Pro­jekt ist, bedeu­tet das noch lan­ge nicht, dass die­ses Wis­sen bes­ser oder schnel­ler Ein­gang in die all­ge­mei­ne Pra­xis fin­det.

Ent­we­der bleibt die Rol­le auf die rei­ne Teil­nah­me redu­ziert – das eige­ne Wis­sen wird zwar ein­ge­bracht, die Erkennt­nis­se des Pro­jekts aber nicht in die eige­ne Orga­ni­sa­ti­on (und dar­über hin­aus) getra­gen. Oder die im Pro­jekt betei­lig­ten Anwen­der behal­ten ihre Erfah­run­gen lie­ber für sich, anstatt sie in den pro­fes­sio­nel­len Dis­kurs ein­zu­spei­sen – sei es aus Kon­kur­renz­den­ken, Unsi­cher­heit oder ein­fach, weil der Trans­fer zu auf­wen­dig erscheint. So wird aus der eigent­lich wert­vol­len Idee der Pra­xis­be­tei­li­gung schnell eine Ein­bahn­stra­ße: Wis­sen fließt ins Pro­jekt hin­ein – aber nicht wie­der hin­aus.

Das Zusam­men­spiel die­ser Hal­tun­gen erzeugt eine Dyna­mik, die schwie­rig auf­zu­bre­chen ist. Fra­gen der Hol- und Bring­schuld kom­men schnell auf, durch­aus ver­bun­den mit einer gewis­sen Frus­tra­ti­on, die im schlimms­ten Fall zu Des­in­ter­es­se wird.

Dabei könn­ten die Prak­ti­ker enorm davon pro­fi­tie­ren, wenn sie sich akti­ver mit For­schung aus­ein­an­der­setz­te – nicht als Theo­rie, son­dern als Werk­zeug. Vie­le der Her­aus­for­de­run­gen, die wir täg­lich erle­ben – ob bei der Gefah­ren­ana­ly­se, der Kom­mu­ni­ka­ti­on in Kri­sen oder der Gestal­tung siche­rer Räu­me – sind längst Gegen­stand wis­sen­schaft­li­cher Unter­su­chun­gen. Sie bie­ten Ant­wor­ten, die hel­fen könn­ten, Feh­ler zu ver­mei­den, Pro­zes­se zu ver­bes­sern und Risi­ken rea­lis­ti­scher ein­zu­schät­zen.

Doch Wis­sen, das nicht gele­sen, ver­stan­den oder ange­wen­det wird, bleibt wir­kungs­los. Und so geht jeden Tag ein Stück Poten­zi­al ver­lo­ren – nicht, weil es das Wis­sen nicht gäbe, son­dern weil es den Weg in die Pra­xis nicht fin­det.