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Taschenkarten – Werkzeuge des Sicherheitsmanagements

Verschiedentlich wurde an dieser Stelle schon über die Notwendigkeiten einer abgestimmten Notfallplanung gesprochen – nun gilt es, das „Handwerkszeug“ etwas intensiver vorzustellen: Wir starten mit den „Taschenkarten“ oder Reaktionskarten“.

ein Text von Ralf Zimme

Was aber bedeutet das im Einzelnen? Das Forschungsprojekt BaSiGo beschreibt die Räumung im Veranstaltungskontext als „…das ungeplante und kurzfristige Verlassen eines Gebietes bei akuter Gefahr“ [1] Wolff (1998) beschreibt die Räumung als „… das schnelle In-Sicherheit-Bringen aus einem gefährdeten Bereich [2] , eine Beschreibung, die im Rimea Projekt [3] als „Entfluchtung“ bezeichnet wird, aber das selbe meint.

In zahlreichen anderen Publikationen werden Räumung und Evakuierung synonym verwendet, im Sinne von „wegen drohender Gefahr von seinem (Wohn)platz wegbringen…“, bzw. „ausquartieren, fortbringen, fortschaffen, in Sicherheit bringen…“ (Duden). Dazu noch die Bedeutung von Konzept als „ein formuliertes Gedankengerüst zur Realisierung von etwas…“ [4]

Ein Räumungskonzept ist also ungeachtet der unterschiedlich genutzten Begrifflichkeiten ein Plan oder Gedankengerüst zur Organisation des schnellen Verlassens eines gefährdeten Bereichs, bzw. ein Plan, um Menschen (und Tiere) aus einem gefährdeten Bereich schnell in Sicherheit zu verbringen. Und das alles unter Berücksichtigung von Menschen mit besonderen Anforderungen an die Wahrnehmung von Alarmierungen und Handlungsanweisungen sowie an ihre Beweglichkeit.

Hierbei hat der Aspekt des „schnell“ zweierlei Bedeutung. Zum einen sollen auf Grund einer imminenten, also unmittelbar bevorstehenden Gefahr, Menschen unverzüglich von einer Gefahrenquelle getrennt werden, zum anderen bedeutet eine ohne Verzögerungen durchgeführte Räumung auch die Möglichkeit der schneller einzuleitenden Gefahrenabwehr bzw. -bekämpfung.

Im Rahmen des Brandschutzes wird häufig von Räumungskonzepten gesprochen und die Räumung insbesondere als Notfallmaßnahme, also als Reaktion auf einen Brand, eingeleitet. Der Verordnungsgeber hat bei der Einführung dieses Punktes in die MVStättVO offenbar ähnlich gedacht und diese Ansicht durch die Positionierung des Themas im § 42 „Brandschutzordnung, Räumungskonzept und Feuerwehrpläne“ belegt und ihn nicht etwa im § 43 „Sicherheitskonzept, Ordnungsdienst“ eingeordnet, wo er sicherlich auch eine Berechtigung gehabt hätte. Diese Einordnung darf aber nicht dazu führen, die Gründe für die Räumung einer Versammlungsstätte auf Brände zu reduzieren. Es existieren unterschiedliche – deutlich zeitkritischere – Auslöser für Räumungen, so wie Räumungen auch in unterschiedlichen Richtungen und Ausmaßen stattfinden können..

Literatur zum Thema findet sich neben dem großen Themenkomplex Brandschutz ebenfalls im genauso umfassenden Gebiet des Arbeitsschutzes Hierzu zählt die VDI Richtlinie 4062 – „Evakuierung von Personen im Gefahrenfall“. Wenngleich sie für sich in Anspruch nimmt, für „Arbeitgeber/ Unternehmer/Betreiber, die für den Schutz von Leib und Leben von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie für betriebsfremde Personen, z. B. Besucher, Teilnehmer, Kunden sowie Fremdfirmen, verantwortlich sind“ ausgerichtet zu sein, haben die beinhalteten Maßnahmen doch einen deutlichen Fokus auf organisierte Einheiten, wie z.B. die Mitarbeiterschaft.

Der offensichtliche Vorteil bei der Evakuierung von Mitarbeitern ist die Möglichkeit der regelmäßigen Einflussnahme auf die handelnden und zu behandelnden Personen durch Schulung und Unterweisung sowie deren Orts- und Verfahrenskunde. Voraussetzungen, die im Umgang mit vielen ortsunkundigen und nur temporär anwesenden Personen wie Besuchern von Veranstaltungen, Kunden in Einkaufzentren oder Hochhauskomplexen und Bahnhöfen nicht gegeben sind und daher teilweise anderer Herangehensweisen bedürfen, die sich im Räumungskonzept wiederfinden müssen.

Worin sich die Literatur einig ist, ist der Umstand, dass ein Räumungskonzept immer einen Teil des Notfallmanagements darstellt und sich von daher innerhalb eines reproduzierbaren Prinzipienrahmens bewegen sollte.

Die Basis jeden Notfallmanagements ist eine Gefährdungsanalyse und in weiteren Schritten eine Gefährdungsbeurteilung anhand einer Bestandsaufnahme der baulichen, organisatorischen und personellen Ressourcen. Die Frage, die hier zu beantworten ist, lautet: Was kann zu welchem Zeitpunkt und an welcher Stelle des Systems geschehen. Im Hinblick auf das Räumungskonzept für Veranstaltungen bzw. Versammlungsstätten konkretisiert sich die Frage auf: Welche Ereignisse können in den einzelnen Phasen der Veranstaltung zu einer Gesamträumung oder Teilräumung der Versammlungsstätte oder assoziierter Flächen führen.

Zu betrachten sind sowohl die veranstaltungs-, und versammlungstättenspezifischen Gefährdungen als auch mögliche negative Einflüsse durch die Nachbarschaft. Hierzu gehören Brand- und Explosionsgefahren, die Möglichkeit des Austritts von Gefahrstoffen, gefährliche Vorkommnisse im Straßen-, Schienen- und Wasserverkehr, Überschwemmungen, Einsturz oder Zusammenbruch von Gebäude oder anderen Aufund Einbauten sowie Bedrohungslagen wie Bombendrohungen, das Auffinden nicht zuzuordnender Gegenstände und Wetterlagen. Im Risikomanagement werden an dieser Stelle risikominimierende Maßnahmen implementiert, wie z.B. eine Bestreifung durch Brandsicherheitswachen, das Vorhalten einer ausreichenden Mengen Löschmittel, die Kontrolle der Besucherzahlen oder die Überwachung des Wettergeschehens. Im Notfallmanagement stellt sich jedoch die Frage nach den Notwendigkeiten für den Fall, dass die risikominimierenden Maßnahmen nicht greifen.

Eine Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes Special Security Services trägt ein Megaphon und eine Karte mit Anweisungen. Sie hilft bei einer Räumungsübung. Zwei Personen, ein Mann und eine Frau, verlassen das Gebäude im Rahmen der Räumungsübung durch eine Flügeltür.
Eine Räumungsübung auf der IBIT Fachtagung 2017, Foto: EventPartner

Alarmierung
Um die richtigen Maßnahmen zur Verhinderung, Eingrenzung oder Bekämpfung eines Notfalls zeitschnell einzuleiten, muss sichergestellt werden, dass die relevanten Organisationseinheiten, die zur Bewältigung der spezifischen Situation notwendig sind, erfahren, dass ein Notfall bzw. eine Abweichung vom Normalbetrieb eingetreten ist. Erst dann können sie aktiv werden. Auch hier zeigt sich wieder die zeitkritische Komponente bei der Entstehung von Notfällen. Wird bei der Alarmierung durch mangelnde Organisation bereits Zeit verloren, kann dies zur Eskalation eines möglicherweise unkritischen Störfalls zu einem Notfall führen. Es muss also sichergestellt sein, dass eine Detektion – egal ob automatisiert, oder durch Beobachtung und Meldung unverzüglich die richtige Stelle in der Organisation findet, die dann in der Lage ist, über die richtigen Maßnahmen zu entscheiden und diese in die Wege zu leiten.

Aus dem Räumungskonzept muss demnach hervorgehen, wie ein Problem ohne Zeitverzug an die Entscheidungen treffende Stelle transportiert wird, welche Personengruppen, also potentielle Problemmelder im Veranstaltungsbereich anwesend sind und wie sichergestellt wird, dass allen infrage kommenden Akteuren bekannt ist, über welche Kanäle eine Meldung an wen abzusetzen ist. Dies gilt für die Veranstaltungszeit genauso wie für die Auf- & Abbauphasen.

Ebenfalls von Bedeutung ist, ob in den externen Leitstellen von Feuerwehr und Polizei, in denen über die 110 und 112 Notfälle im Umfeld der Veranstaltung gemeldet werden, bekannt ist, dass eine Veranstaltung stattfindet und welche Probleme in der Nachbarschaft eine Gefährdung für die Veranstaltungsbesucher darstellen können bzw. dass entsprechend bekannt ist, wie die Versammlungsstätte zu erreichen ist.

Handelnde Personen
Wie oben beschrieben führt die Alarmierung zu Entscheidungen über anzuwendende Maßnahmen. Um jedwede Zeitverzögerung zu vermeiden, ist es von vitaler Bedeutung, die Zuständigkeiten für die Entscheidungen frühzeitig vor der Veranstaltung festzulegen. Kompetenzgerangel oder gar Kompetenzverweigerung kann im Verlauf eines Notfalls fatale Folgen haben. Es muss also in allen Phasen einer Veranstaltung festgelegt werden, wer über mögliche Maßnahmen innerhalb der Versammlungsstätte entscheidet und die Alarmierungswege müssen entsprechend eingerichtet sein – für den Veranstaltungsbetrieb wie auch den Nicht-Veranstaltungsbetrieb.

So könnte bspw. der Geschäftsführer der Versammlungsstätte oder ein von ihm beauftragter Brand- oder Arbeitsschützer die Entscheidungskompetenz im reinen Bürobetrieb innehaben, während im Verlauf der Auf- und Abbauarbeiten einer Veranstaltung der Verantwortliche für Veranstaltungstechnik diese zentrale Funktion bekleidet. Der Verantwortliche für Veranstaltungstechnik kennt die handelnden Akteure und Gefährdungen und kann im Sinne aller Beteiligten über Notfallmaßnahmen entscheiden. Im Veranstaltungsbetrieb wiederum ist es der Veranstaltungsleiter, der die Entscheidungen trifft. Es sind natürlich auch andere Konstellationen denkbar, in jedem Fall muss aber sichergestellt sein, dass eine entscheidungsbefugte Person anwesend und allen Meldewegen bekannt ist, dass diese Person weiß, welche Maßnahmen zu treffen sind, wie sie ausgelöst, bzw. eingeleitet werden und welche Aufgaben nach der Auslösung zu erledigen sind. In der „DIN EN 13200 Zuschaueranlagen – Teil 8 Sicherheitsmanagement“ heißt es hierzu:

„Diese Personen, (Personen, die besondere Aufgabe im Notfallplan erfüllen müssen, Anmerkung des Autors) müssen die besonderen Aufgaben kennen, die sie ausführen müssen; sie müssen in der Lage sein, diese Aufgaben auszuführen und müssen wissen, wie sie sich bei unterschiedlichen Notfällen zu verhalten haben, einschließlich Notfallsituationen, in denen Personen in Sicherheit gebracht werden müssen (Zuschauer, Dazugehörende, Sportler, Personen mit besonderen Bedürfnissen usw.)“.

Auslösekritierien
Im Laufe einer Veranstaltung mit vielen Besuchern Notfallmaßnahmen durchzuführen, bedeutet immer einen Eingriff in die Veranstaltung – von lediglich störenden Momenten über Unterbrechungen oder einem verfrühten Ende bis hin zu Maßnahmen mit inhärenten Gefährdungen wie der Räumung von Personen. Daher müssen im Vorfeld Parameter festgelegt werden, die einzelne Schritte in einer Maßnahmenhierarchie auslösen und bei der Abwägung der Konsequenzen von Maßnahmen helfen. Muss bspw. der Betrieb eines Festzelt bei Windstärke 7 eingestellt werden, wäre ein Erreichen der Windstärke 5 ggfs. ein Auslösekriterium für die Schließung der Außenwände um das Einfahren von Windböen zu verhindern, die Information der Bereichsleiter sowie ggfs. des Publikums. Das Erreichen der Windstärke 6 wäre in diesem Beispiel das Auslösekriterium für das Einstellen des Verkaufs von Getränken und der Musik und der Aufforderung an das Publikum, das Zelt zu verlassen. Spätestens das Erreichen der Windstärke 7 würde dann eine aktive Räumung des Zeltes auslösen.

Für das Räumungskonzept bedeutet die Festlegung von Auslösekriterien, Eskalationsstufen und Reaktionszeiten für einzelnen Notfallszenarien abzustimmen. Es müssen also u.a. die Fragen beantwortet werden: Bis zu welchem Grad kann eine Situation gemeistert werden, welche Parameter sind ausschlaggebend, um vom Risikomanagement ins Notfallmanagement zu wechseln. Wie groß darf bspw. ein Entstehungsbrand werden, bevor eine Räumung eingeleitet wird, welche Personendichten sind wo in der Veranstaltung akzeptabel oder welche Wetterbedingungen führen dazu, noch vor den Eingängen befindliche Personen nach innen in die Versammlungsstätte zu verbringen. Bei den Auslösekriterien gibt es leider kein „One Size Fits All“. Auslösekriterien sind von der Art des Notfalls, den individuellen gebäudespezifischen und / oder situativen Voraussetzungen, der daraus resultierenden Bedrohung für die Anwesenden und von den verfügbaren Ressourcen zur Eindämmung oder Abwehr eines Notfalls abhängig.

Wie eingangs bereits erwähnt folgt das Notfallmanagement reproduzierbaren Abläufen. Von der Analyse des Systems, über die Festlegung der handelnden Personen und der Bestimmung von Auslösekriterien bis hin zur Entwicklung von notwendigen, gefährdungsspezifischen Notfallmaßnahmen wie einer Räumung.

Bevor also eine Räumung erfolgreich funktionieren kann, müssen die vorgenannten Schritte durchdacht, dokumentiert, abgestimmt und geschult sein. Sie sind damit bereits Bestandteil des Räumungskonzeptes. Erst im nächsten Schritt werden dann die konkreten Maßnahmen, die zur Abwicklung eines spezifischen Notfalls, wie der Räumung der Versammlungsstätte oder des Veranstaltungsgeländes, notwendig sind, betrachtet.

Konkrete Maßnahmen der Räumung
Räumungen können unterschiedliche Gründe haben sowie sich in Art und Umfang unterscheiden. Nicht immer muss die gesamte Versammlungsstätte geräumt werden, noch stehen immer alle Fluchtrichtungen uneingeschränkt zur Verfügung. Aus diesem Grund sollte jedes Räumungskonzept die folgenden Grundräumungsszenarien beinhalten.

  • Gesamträumung: Es wird die Räumung der gesamten Versammlungsstätte veranlasst. Das Konzept geht davon aus, dass alle Fluchtwege verfügbar sind und eine gleichmäßige Verteilung der Besucher auf die vorhandenen Fluchtwege möglich ist.
  • Teilräumung: Es muss nur ein Teil der Versammlungsstätte geräumt werden. Das Konzept geht davon aus, dass alle Fluchtwege aus dem betroffenen Bereich verfügbar sind und eine gleichmäßige Verteilung der Besucher auf die vorhandenen Fluchtwege möglich ist. Die Teilräumung sollte konzeptionell ein modularer Teil der Gesamträumung sein.
  • Gerichtete Räumung: Es muss die gesamte oder nur ein Teil der Versammlungsstätte geräumt werden, aber es stehen NICHT alle Fluchtwege zur Verfügung. Manche Fluchtrichtungen müssen ggfs. versperrt werden um zu verhindern, dass Besucher in gefährdete Bereiche strömen. Dem Besucher muss eine bestimmte Richtung vorgegeben werden – es ist also mit einer zumindest teilweisen, ungleichmäßigen Verteilung der Besucher auf die Fluchtwege und einem erhöhten Steuerungsbedarf zu rechnen.

Für das schnelle In-Sicherheit-bringen von Besuchern sind also in einem ersten Schritt die Alarmierung wie beschrieben zu realisieren, die Auslösekriterien zu prüfen und eine Entscheidung über Art, Umfang und ggfs. die Richtung einer Räumung zu treffen.

Allgemeine Sicherheitshinweise, wie sie auf einer Taschenkarte zu finden sein können. Bild: IBIT GmbH
Allgemeine Sicherheitshinweise, wie sie auf einer Taschenkarte zu finden sein können. Bild: IBIT GmbH

Spätestens jetzt treten die Unterschiede zwischen organisierten und beschulten Personen wie Mitarbeitern in einem Bürokomplex und ortsunkundigen Veranstaltungsbesuchern zu Tage. Während geschulte, orts- und verfahrenskundige Mitarbeiter über z.B. akustische oder optische Warnsignale, automatisierte Ansagen oder durch Zuruf leicht alarmiert und aktiviert werden können, ist die prozentuale Durchdringung verfahrenskundiger Veranstaltungsbesucher deutlich geringer und die Aktivierung nach einem Alarm entsprechend verlangsamt. Mitarbeiter sind in den meisten Fällen viel schneller in der Lage, eine Alarmierung als solche zu erkennen und umgehend richtig zu reagieren, ggfs. einen Sammelplatz anzusteuern und andere auf dem Weg zu informieren oder mitzunehmen. So kann z.B. auch Mitarbeitern mit besonderen Anforderungen, seien es Anforderungen durch eingeschränkte Mobilität oder andere sensorische Einschränkungen, leichter geholfen werden und der sogenannte „by-stander-effect“ also die Annahme, jemand anderes werde sich um eine hilfsbedürftige Person kümmern, reduziert werden. Im Veranstaltungskontext sind die Reaktionen auf eine Räumungsaufforderung häufig weit von denen am Arbeitsplatz entfernt. So werden regelmäßig Über- und Unterreaktionen beobachtet.

Wissenschaftliche Studien zeigen dabei jedoch, dass eine Überreaktion auf ein gefährliches Ereignis, wie z.B. individuelle Panikattacken deutlich seltener vorkommen, als Unterreaktionen – also ein Nichtreagieren auf ein Ereignis. Die Gründe für die Unterreaktion sind vielfältig: Es kann daran liegen, dass eine Gefährdung nicht offenkundig erkennbar ist, die Informationsquelle als nicht verlässlich interpretiert wird, man Sorge hat, sich im Falle einer Fehlinterpretation des Alarms lächerlich zu machen oder einfach nur seinen guten Platz zu verlieren. Aber auch wenn ein Alarm als bestätigt erscheint, kann das Warten auf andere, z.B. Freunde oder Familie zu verzögerten Reaktionen führen. Diesen Umständen muss ein Räumungskonzept Rechnung tragen. Wie kann die Entscheidung für eine Räumung so an das Publikum transportiert werden, dass die Information als aus verlässlicher Quelle kommend ernstgenommen und ohne Verzögerung umgesetzt wird? Und was kann die Organisation tun, um die Abläufe zu unterstützen und zu optimieren? Gerade das Unterstützen der Abläufe ist jedoch mit teilweise nicht unerheblichem Aufwand verbunden und führt regelmäßig zu Diskussionen über die Notwendigkeit lenkender und leitender Maßnahmen. Schließlich müssten die Besucher „ja nur den Fluchtwegschildern folgen“. Um dies einzuordnen, muss man sich mit dem Prinzip der Selbstrettung beschäftigen. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) definiert in „Selbstund Fremdrettung: Erkennen, Beurteilen, Handeln“ (Oktober 2010, Version 1.1)

„Selbstrettung beinhaltet den Selbstschutz vor Gefahrenquellen, die zu zeitweisen oder andauernden körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen führen können. Dazu gehört, diese Gefahrenquellen rechtzeitig erkennen zu können und zu vermeiden, sich ihnen auszusetzen. Es gilt, einem potenziellen Unfallgeschehen rechtzeitig und wirksam zu begegnen“.

Daniel Nobis (2016) definiert in „Die Möglichkeit der Selbstrettung: Verbesserung der Barrierefreiheit durch die Entwicklung eines Selbstrettungsliftes für mobilitätseingeschränkte Personen im Rollstuhl“

„Die Selbstrettung ist das Vermögen, sich selbst aus Gefahrensituationen zu befreien. Vorbeugend gehört dazu auch das Wissen, wie man Gefahrensituationen verhindert. Der Fachbegriff Selbstrettung bedeutet: Personen retten sich aus eigener Kraft aus dem Gefahrenbereich.“

Auch in weiteren, sich in den Definitionen leicht unterscheidenden Publikationen zur Selbstrettung, werden wieder zwei wichtigen Aspekte der Selbstrettung erkennbar.

  • aus eigener Kraft
  • Gefahren verhindern, vermeiden und entgegenwirken

Die Auffassung, dass durch die Ausweisung und Freihaltung von Fluchtwegen bereits alles für die Selbstrettung von Personen getan sei führt in organsierten Einheiten mit Schulungs-, Orts- und Verfahrenskenntnissen zu positiven Ergebnissen, muss aber in komplexen oder großen und möglicherweise unübersichtlichen Veranstaltungsorten unterstützt werden, sind die Orts- und Verfahrensunkundigkeit der dort befindlichen Personen der Selbstrettung entgegenstehende Faktoren, die im Veranstaltungskontext durch Lenkung und Leitung kompensiert werden müssen. Fehlende standardisierte Alarmierungsformen für Versammlungsstätten und durchaus auch unterschiedliche Alarmierungsformen im beruflichen Umfeld führen häufig zu den o.g. Unterreaktionen – die Personen handeln nicht, weil die Alarmierung für sie nicht „funktioniert“, weil sie sich stattdessen lieber an der Umgebung orientieren, die auf die Umgebung wartend nicht reagiert.

„Die Orientierung am Menschen verdrängt die Orientierung an Fakten“ (Pelzmann, L & F Malik, F (2002) Triumph der Massenpsychologie). Diesem verzögernden Effekt muss durch Organisation, verlässliche Informationsquellen und letztendlich auch vertrauenswürdigem Personal entgegengewirkt werden. Eine erfolgreiche Räumung kann nur dann funktionieren, wenn nicht zu Beginn bereits wichtige Zeit verloren wird. Ein weiterer dem Veranstaltungsumfeld impliziter Aspekt, der die Selbstrettung aus Versammlungsstätten behindert, ist die Ortsunkunde der Besucher.

Der Drang des Menschen, sich an Bekanntem zu orientieren, führt häufig zur Überlastung von Fluchtwegen, die auch im Normalbetrieb als Verkehrswege gedient haben sowie zu einer Unterlast auf anderen nicht regelmäßig genutzten Wegen. Wird der Besucher vor die Wahl gestellt, dem freien Weg oder demjenigen Weg, den alle anderen gewählt haben, zu folgen, wird er sich vermutlich dem Umfeld anschließen und ebenfalls den überlasteten Weg einschlagen. Eine effektive Selbstrettung ist demnach nur möglich, wenn für eine gleichmäßig Verteilung der Personenströme auch auf nicht im Normalbetrieb genutzte Ausgänge gesorgt wird.

„Selbstrettung bedeutet nur, sich aus eigener Kraft in Sicherheit zu bringen.“

Zu kommunizieren, auf welchem Weg diese Sicherheit schnell erreicht wird, oder zu erfahren, wo sich die Gefährdung befindet ist die Aufgabe der Sicherheitsakteure. Die Erfüllung dieser durchaus anspruchsvollen Aufgabe wird im Vorfeld durch Planung, Konzeptionierung und Schulung der handelnden Personen gewährleistet um sicherzustellen, dass während der Räumung eine gleichmäßige Verteilung der Besucher durch Lenkung und Leitung auf die zur Verfügung stehenden Ausgänge realisiert wird. Aber auch mit der schnellen, unmissverständlichen Alarmierung und der gleichmäßigen Verteilung der Besucher ist die Räumung noch nicht beendet.

Eine erfolgreiche Räumung benötigt die Aufrechterhaltung der Personenströme. So sollte zum Einen das Verhalten an Engstellen kommuniziert werden: Ein Reißverschlussverfahren kann helfen, solche Bereiche zügig zu durchqueren, Rücksichtnahme und das Achten andere Besucher führen ebenfalls zu positiven Ergebnissen.

Weiterhin muss die Organisation der Räumung dafür sorgen, dass Menschen nicht im Personenstrom stehen bleiben – z.B. um auf andere zu warten. Auch hierzu müssen im Räumungskonzept geeignete Handlungen definiert werden, z.B. erklärende Durchsagen.

Schlussendlich muss sichergestellt sein, dass die Räumung weit genug aus der Veranstaltungsfläche hinaus führt um sicherzustellen, dass auch die letzten Besucher noch einen ausreichend großen Sicherheitsabstand zum Auslöser der Räumung einnehmen können.

Alle vorgenannten Aspekte müssen insbesondere für die Anwesenheit beeinträchtigter oder behinderter Gäste überprüft werden. In diesem Zusammenhang sind besonders Fragen der Alarmierung von Bedeutung. Häufig können durch die Behinderung optische oder akustische Warnsignale nicht erkannt oder eigenständig darauf reagiert werden. Begleitpersonen sind nicht immer direkt bei der betroffenen Person positioniert oder auch gar nicht anwesend. Barrierefreie Ausgänge sind nicht in jeder Veranstaltung verfügbar oder die Wege dorthin verlaufen entgegen der generellen Fluchtrichtung. Auch hier spielt die Ortsunkunde erneut eine wichtige Rolle, da sie nicht nur Auswirkungen auf die eigene Rettung hat, sondern auch noch der Selbstrettung anderer Personen entgegenstehen könnte.

Rückführung zum Normalbetrieb
Vollständig ist das Räumungskonzept dann mit den Festlegungen zur Rückkehr in den Normalbetrieb. Auch hier sind Abläufe und Auslösekriterien zu bestimmen, die eine Räumung unterbrechen oder beenden und den Veranstaltungsort wieder als „sicher“ definieren. Regelmäßige Räumungsübungen haben gezeigt, dass die Informationslage während einer Räumung, auch wenn es sich nur um eine Übung handelte, durch Halbinformationen und Gerüchte nie homogen ist und jeder Auslöser (ob nun auf einer Tatsache basierend oder nicht) genutzt wird, die Räumung eigenmächtig abzubrechen oder zu verlangsamen. Solche Situationen müssen im Ernstfall unbedingt verhindert werden. Die Entscheidung zur Aufhebung der Notfallmaßnahmen obliegt dem Entscheider für die Notfallmaßnahme und sie muss durch protokolliert Prüfungen entsprechend belegbar sein. Es muss sichergestellt sein, dass die Bedrohung garantiert bekämpft ist, dass alle Maßnahmen der Gefahrenabwehr abgeschlossen und durch die Abwehr keine neuen Gefährdungen entstanden sind. Dazu gehört auch, dass das Personal und Material für den Normalbetrieb verfügbar und vor Ort ist. Es muss inbesondere festgelegt werden, welche Kontrollen vor Wiederaufnahme des Betriebs durchgeführt werden müssen.

Zusammenfassung
Ein Flucht- und Rettungswegeplan ist kein Räumungskonzept. Ein Konzept zur Räumung, also dem schnellen In-Sicherheit-bringen von Personen, beinhaltet zahlreiche Aspekte der Notfallorganisation. Hierbei muss es darum gehen, die Selbstrettung der anwesenden Personen insofern zu unterstützen, als dass es den Besuchern von Veranstaltungen erlaubt, den schnellsten Weg fort von einer Bedrohung zu finden. Hierzu muss der Besucher erfahren, welche Bedrohung besteht, in welcher Richtung sich ein sicherer Ort befindet und auf welchem Weg er am schnellsten, also ohne Staus und Verzögerungen dort hingelangt. Die Musterversammlungsstättenverordnung hebt dabei noch einmal die besondere Verantwortung für Menschen mit besonderen Herausforderungen hervor, für die separat die Abläufe der Alarmierung, die handelnden Personen und möglichen Auslösekriterien überprüft und ggfs. mit Material und Personal angepasst werden müssen.

Zusammengefasst müssen also folgende Schritte bei der Erstellung eines Räumungskonzepts durchlaufen werden:

  • Analyse → Welche Faktoren, veranstaltungs-, versammlungsstätten- oder nachbarschaftsspezifisch können zu einem schnellen In-Sicherheit-verbringen von Veranstaltungsbesuchern führen. Sind Menschen mit besonderen Bedürfnissen bei der Veranstaltung anwesend, wo befinden sich diese und welche Form der Hilfe muss dort gewährleistet werden.
  • Alarmierung → Wie erfahren die handelnden Personen über einen Störfall mit Potential zur Eskalation, bzw. von einem bereits eingetretenen Notfall? Sind allen internen und externen Akteuren die Meldewege bekannt und sind diese auch erreichbar?
  • Handelnde Personen → Sind allen Personen, die eine Funktion in der Abwicklung von Notfällen haben ihre Funktionen und die damit verbundenen Aufgaben bekannt? Sind sie anwesend und in der Lage die Aufgaben auszuführen? Wissen die Entscheider, dass sie Entscheidungen treffen dürfen / müssen? Wissen die einzelnen Akteure, was die anderen Akteure machen?
  • Auslösekriterien → Auslösekriterien helfen, Situationen besser einschätzen zu können und bilden Parameter für die Entscheidung, ob eine Situation mit eigenen Mitteln unter Kontrolle gebracht werden kann oder ob eine Notfallmaßnahme greifen muss.
  • Maßnahmen → Die Maßnahmen beschreiben alle notwendigen Handlungen, die im Zuge eines Notfalls, in diesem Fall einer Räumung, abzuwickeln sind. Hierzu gehören unter anderem:» Durchsagen / Alarmierung der Besucher
    » Aktivierung der Besucher
    » Beleuchtung – wenn notwendig – zuschalten
    » Öffnen der zur Verfügung stehenden Notausgänge sowie das Verschlossenhalten nicht zu nutzender Ausgänge
    » Lenken und Leiten der Besucher mit dem Ziel einer gleichmäßigen Verteilung der Personen auf alle zur Verfügung stehenden Wege
    » Assistenz für behinderte / eingeschränkte Besucher
    » Regelmäßige Handlungshilfen während der Räumung
    » Angreifwege zur Notfallbekämpfung freihalten und Kollisionen mit nachrückenden Rettungsmitteln vermeiden

Invakuierung und ShutDown
Der Vollständigkeit halber sind noch zwei Sonderformen der In-Sicherheit-Verbringung von Veranstaltungsbesuchern aufzuführen. Die Invakuierung und der Shut down.

Bei einer Invakuierung wird, anders als bei der standardisierten Räumung, der öffentliche Bereich als Quelle der Bedrohung und der Veranstaltungsort als der sichere Bereich interpretiert. Es sind also die Personen anzusprechen und zu bewegen, die noch nicht in der Veranstaltung anwesend, aber durch Gefahrenquellen wie Wetter, Angreifer oder einen nicht zuzuordnenden Gegenstand bedroht sind. In diesen Situationen ist die Kommunikation mit den Betroffenen erschwert und eine Koordination mit den bereits anwesenden Personen ist notwendig. Wo sollen die Personen von außen entlang geführt werden, wie kann dieser geplante Weg kommuniziert werden? Wie können die bereits in der Veranstaltung anwesenden Personen die Maßnahme nicht behindern oder gar unterstützen? Wie kann man die Personen so anordnen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt gesammelt wieder nach draußen gebracht oder innerhalb der Versammlungsstätte kontrolliert werden können?

Ähnliche Fragen stellen sich auch zu einem Shut-Down des Veranstaltungsortes, also dem zeitweise gesamten oder örtlich beschränktem Verschließen der Ein- und/ oder Ausgänge. Häufig wird der Shut-Down als Notfallmaßnahmen für bewaffnete Angriffe von außen oder für bestimmte Bereich innerhalb einer Veranstaltungsstätte vorgesehen.


Quellen:

[1] [Online unter www.basigo.de/handbuch/Sicherheitsbausteine/Notfallplanung/szenarienunabh%C3%A4ngige_Ma%C3%9Fnahmenplanung/Evakuierung, abgerufen 01.08.2018],]. [2] [VB – Vorbeugender Brandschutz 17(1998)1, S. 41-43] [3] [www.rimeaweb.files.wordpress.com/2016/06/rimea_richtlinie_3-0-0_-_d-e.pdf – Seite 9] [4] [online: www.wortbedeutung.info, abgerufen 01.08.2018], bzw. als „ein fixierter Plan“ [5] (Schmidbauer (2006) Quelle: www.konzeptionerblog.de/2006/07/konzept_oder_ko/, abgerufen 01.08.2018]

 

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