Bildung, Beratung, Forschung für die Sicherheit von Menschen in Menschenmengen

Gedan­ken zum Okto­ber­fest, zum Crowd­Ma­nage­ment und zum Men­schen

Wer uns schon län­ger folgt, weiss, dass wir frü­her sofort kom­men­tiert haben, wenn es ein Ereig­nis gab – das machen wir aus vie­ler­lei Grün­den nicht mehr – u.a., weil es immer eine Zeit braucht, bis alle Infor­ma­tio­nen halb­wegs geord­net sind. Des­halb hat es auch etwas gedau­ert, bis wir uns mit dem Okto­ber­fest beschäf­tig haben.

Da wir nicht dort waren, wür­den wir jetzt nicht noch mal auf­schrei­ben, was dort gemäß ver­schie­de­ner Medi­en­be­rich­te schief gegan­gen ist (obwohl eini­ge sogar erstaun­lich fach­kun­dig waren), son­dern den Anlass nut­zen, ein paar Grund­sätz­lich­kei­ten des Crowd­Ma­nage­ments in Erin­ne­rung zu rufen.

  1. Selbst­kom­pe­tenz: wenn wir wol­len, dass die Besu­cher adäquat reagie­ren, müs­sen wir Ihnen die dafür nöti­gen Infor­ma­tio­nen geben. Das bedeu­tet, dass wir ihnen auch „ver­meint­lich“ Unan­ge­neh­mes mit auf den Weg geben müs­sen.
  2. Kom­mu­ni­ka­ti­on muss klar, trans­pa­rent und wahr sein. Immer noch lesens­wert: PROULX, Guy­le­ne; SIME, Jona­than D. To pre­vent ‘panic’in an under­ground emer­gen­cy: why not tell peo­p­le the truth?. In: Fire Safe­ty Sci­ence. Rout­ledge, 1991. S. 843–852. Die­ser wich­ti­ge Grund­satz wur­de auch in der VDI 4062 Blatt 2 auf­ge­nom­men. Die oft­mals for­mu­lier­te Sor­ge, Men­schen wür­den „in Panik aus­bre­chen“, wenn man Ihnen eine ehr­li­che Durch­sa­ge kom­men ist, ist unbe­grün­det. Im Gegen­teil: wenn wir wol­len, dass die Men­schen schnell reagie­ren, müs­sen wir ihnen sagen, dass es einen Grund dafür gibt. Schlim­mer ist es, wenn Men­schen nicht oder erst ver­spä­tet reagie­ren, weil sie die Ernst­haf­tig­keit der Situa­ti­on nicht ver­ste­hen. Auch Mut­ma­ßun­gen auf­grund feh­len­der Infor­ma­tio­nen ver­hin­dern eine schnel­le und geord­ne­te Räu­mung. Men­schen wer­den immer ver­su­chen, die Wis­sens­lü­cke zu fül­len – und wenn sie das tun, indem sie z.B. jeman­dem fol­gen, dem sie mehr/das feh­len­de Wis­sen zutrau­en und die­ser Mensch sie in die fal­sche Rich­tung lenkt – dann sieht man das, was despek­tier­lich häu­fig „Her­den­trieb“ genannt wird, was aber gut erklär­bar und vor allem immer eins ist: Ein Feh­ler in der Kom­mu­ni­ka­ti­on.
  3. Durch­sa­gen müs­sen ver­ständ­lich sein. Zu berück­sich­ti­gen ist nicht nur Spra­che, Inhalt und Laut­stär­ke, son­dern auch Sprach­ver­ständ­lich­keit und die Mög­lich­keit, Geräusch­pe­gel zu mini­mie­ren (z.B. durch Abstel­len der Musik an Fahr­ge­schäf­ten – was außer­dem den Vor­teil hat, für Auf­merk­sam­keit bei den Men­schen zu sor­gen). Hil­fe fin­det sich unter ande­rem in der #VDI4062
  4. Den Zufluss stop­pen, wenn es schon zu voll ist, ist zu spät. Es braucht Indi­ka­to­ren (z.B. Befül­lungs­gra­de), die eine Schlie­ßung vor­be­rei­ten. Die­se set­zen sinn­vol­ler­wei­se nicht erst am Gelän­de, son­dern schon in der Last Mile an. Ein gutes Mit­tel ist dabei die Bewer­tung des Ver­kehrs­flus­ses nach vor­ge­ge­ben Kri­te­ri­en (z.B. „Voll­stän­di­ge Bewe­gungs­frei­heit“ bis „kei­ne eigen­stän­di­ge Kon­trol­le mehr über die Bewe­gung“). Eine gute Erklä­rung hier­für lie­fert das EVC – Emp­feh­lun­gen zum Ver­kehrs- und Crowd­Ma­nage­ment (FGSV, 2022)
  5. Die Pro­gno­se einer #Tages­gang­li­nie gehört zu den regel­mä­ßi­gen Fak­to­ren einer Risi­ko­ana­ly­se im Hin­blick auf das Crowd­Ma­nage­ment. Die Tages­gang­li­nie ver­an­schau­licht die Ver­kehrs­strö­me zu den ver­schie­de­nen Uhr­zei­ten, wor­aus sich die Spit­zen­stun­den ablei­ten las­sen. Sie ist nicht nur ein Pla­nungs- son­dern auch ein Über­wa­chungs­in­stru­ment (indem sie vor Ort mit der Rea­li­tät abge­gli­chen wer­den kann. )
  6. Eine rein quan­ti­ta­ti­ve Her­an­ge­hens­wei­se (Zäh­len) löst nur Kapa­zi­täts- nicht aber Ver­tei­lungs­pro­ble­me. Wich­ti­ger ist die Pro­gno­se und das Über­wa­chen des #Ver­kehrs­flus­ses. Die­ser berück­sich­tigt sowohl den Nut­zungs­zweck der jewei­li­gen Flä­che (Auf­ent­halt, Trans­fer etc.), als auch die tat­säch­li­che Aus­las­tung (5 Per­so­nen kön­nen je nach – aeh: Kör­per­vo­lu­men – durch­aus unter­schied­li­che Platz­be­dar­fe auf­wei­sen)…
  7. Per­so­nal muss für die ihm über­tra­ge­ne Auf­ga­be trai­niert sein. Jemand, der nicht weiß, wor­auf er/sie ach­ten muss und ein Gedrän­ge erst erkennt, wenn es schon da ist, hilft nicht – es braucht also die Ver­mitt­lung von „Vor­zei­chen“ und auch hier von abge­stimm­ten Mel­de­kri­te­ri­en.

Die – um noch mal auf das Okto­ber­fest zurück­zu­kom­men – sehr schnell imple­men­tier­ten oder für die Zukunft avi­sier­ten Maß­nah­men für das Fest sind [Süd­deut­sche Zei­tung: “Okto­ber­fest 2025 – Und dann leuch­ten die Wun­der­ker­zen im Zelt”]:

* Ein­satz von Crowd­s­pot­ter (“… soll erst­mals ein geziel­tes „Crowd Spot­ting“, also eine genaue Ana­ly­se der Besu­cher­strö­me…”)

* Ver­bes­se­rung der Durch­sa­gen

* Beob­ach­tungs­ma­nage­ment

* Ein­bin­den der Beschi­cker als Mul­ti­pli­ka­to­ren

Neben den inhalt­li­chen Aspek­ten scheint es aber auch wich­tig zu sein, noch ein­mal auf die mensch­li­che Sei­te hin­zu­wei­sen – denn was man so ger­ne ja mal ver­gisst, wenn man z.B. über “das Okto­ber­fest” spricht: dahin­ter ste­hen Men­schen. Und in den meis­ten Fäl­len sind das Men­schen, die durch Ereig­nis­se – sei es die sich rea­li­siert haben­de Über­fül­lung oder die sich glück­li­cher­wei­se nicht rea­li­siert haben­de Bom­ben­dro­hung – stark betrof­fen sind; weil sie näm­lich eigent­lich eine siche­re Ver­an­stal­tung durch­füh­ren wol­len und die sich durch­aus rele­van­te Gedan­ken (manch­mal auch Vor­wür­fe) machen, wenn das nicht klappt.

Die­se Men­schen sind oft­mals getrie­ben von Sor­ge, vom stän­di­gen Über­den­ken und der Fra­ge, ob man denn auch das Mög­li­che und das Rich­ti­ge getan hat. Das geht viel­leicht nicht allen so, aber zumin­dest vie­le der Men­schen, die wir ken­nen, beschäf­ti­gen sich sehr inten­siv damit, auch das eige­ne Han­deln zu hin­ter­fra­gen.

Es soll­te daher im Sin­ne aller sein, Ereig­nis­se ein wenig neu­tra­ler, ein wenig weni­ger rei­ße­risch zu betrach­ten. In unse­ren Work­shops leh­ren wir, im Not­fall­ma­nage­ment immer die Fra­ge zu stel­len „Was wür­de ich in einer sol­chen Situa­ti­on machen?“ – die­se Fra­ge bie­tet sich ganz grund­sätz­lich an, wenn man weder den Men­schen noch die Rea­li­tät aus den Augen ver­lie­ren möch­te.