Rückblick
Wir haben es einleitend schon gesagt und wiederholen das gerne auch noch einmal; die inzwischen 4. Fachtagung Veranstaltungssicherheit in Köln war ein voller Erfolg. Über 300 Vertreter der Veranstaltungs- und Sicherheitsbranche kamen am 28. und 29. November 2017 erneut in den Businesslogen des Kölner RheinEnergieSTADIONs zusammen, um gemeinsam über unterschiedlichste Aspekte der Veranstaltungssicherheit zu diskutieren.
Die Tagung stand in diesem Jahr unter dem Motto „mit dem Wissen wächst der Zweifel“ (ein Zitat von Goethe) – und das im positivsten aller Sinne, soll es doch darum gehen, Dinge immer wieder „anzuzweifeln“ – sprich: zu hinterfragen und niemals in einem Status zu verharren.
Die Teilnehmer sowie über 30 Sprecher und Diskutanten sorgten in ihren Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Best-Practice-Sessions in insgesamt sechs Themenschwerpunkten für intensiven Austausch und Wissensvermittlung. Aufarbeiten werden wir die Fachtagung in aller Ausführlichkeit in der kommenden Ausgabe des MAGAZINs für Sicherheitskultur (Februar 2018), möchten aber an dieser Stelle die Tagung zumindest schon einmal kurz zusammenfassen.
Themenschwerpunkt 1 – Die Verantwortung des Dienstleisters
Dass sich der im vergangenen Jahr eingeführte Schwerpunkt „Dienstleister, Infrastruktur, Sicherheitskultur – Herausforderungen & Möglichkeiten“ als fester Teil der Tagung etabliert hat, konnte man am durchweg hohen Publikumszuspruch und den im Anschluss an die Vorträge lebhaft geführten Diskussionen im Vortragsraum sehen. Moderator und Arbeitsschützer Axel Claas gab zunächst eine kleine Einführung in das Thema Schutz der Mitarbeitenden, ehe Frank Witte (THEA Weimar) in seinem Vortrag Auswahlverantwortung bei Veranstaltungen: Qualifikation, Titel und Ausbildungen die rechtlichen Grundlagen zur Auswahlverantwortung, die Aufgabenbeschreibungen und Anforderungen an die Ausbildung verschiedener „geeigneter, qualifizierter oder befähigter Personen“ aus dem Veranstaltungsalltag vorstellte. Ausgangspunkt für den anschließenden Vortrag von Marten Pauls (campo Projects) war die sicher allen gut in Erinnerung gebliebene terrorverdachtsbedingte Programmunterbrechung und Räumung des Bühnengeländes auf dem diesjährigen Rock am Ring Festival. Marten Pauls, der den „Rückumzug“ Festivals an seine Stammstätte begleitet hat, stellte in seinem Vortrag dar, wie mit dem Dienstleister als Teil der Sicherheitskultur umgegangen wird.
Im Anschluss daran wurde – wie immer bei den Vorträgen von Volker Löhr – äußerst lebhaft über Die Verantwortung des Dienstleisters – Eine rechtliche Einordnung diskutiert.
Der Vortrag zu der Normenreihe DIN EN 13200 musste leider kurzfristig entfallen.
Themenschwerpunkt 2 – Veranstalten in einer sich wandelnden Gesellschaft
Immer mehr Menschen haben an unseren Veranstaltungen teil, die in irgendeiner Weise „besondere Anforderungen“ haben – sei es in Bezug auf Unterstützung und Hilfestellung oder in Bezug auf die Etablierung unserer Veranstaltungsregeln“. Mobilitätseingeschränkte Menschen, Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen, mit Wahrnehmungseinschränkungen oder ohne Veranstaltungserfahrung. Dies muss bei der Planung unserer Veranstaltungen berücksichtigt werden, findet sich in der Realität aber noch viel zu selten berücksichtigt.
Aber auch „die Kids“, die ja einen Großteil unserer Besucher darstellen, werde nicht wirklich dort abgeholt, wo sie Stehen – äußerst beeindruckend aufgearbeitet in der ersten Podiumssession Wer ist unser Publikum unter Leitung von Ralf Zimme (Düsseldorf Congress Sport & Event GmbH). Allen, die die Session besucht haben, wird sicherlich für immer der Moment in Erinnerung bleiben, als ein 16jähriger Mitdiskutant den Vorschlag machte, man könne Fluchtwege doch z.B. auffallend beschildern, „z.B. in einem leuchtenden Rot“…
Besonders beeindruckend waren auch die Statements der konzert- & festivalbegeisterten (und -erfahrenen) Rollstuhlfahrerin Katharina, die allen noch einmal ganz deutlich die Augen geöffnet hat – unter anderem, als sie darauf hinwies, dass ja auch sie gerne mit ihren Freunden zusammen feiern möchte – was schlichtweg nicht funktioniert, wenn sie auf dem Rollstuhlpodest und die anderen im Besucherraum stehen.
Der gesamte Themenstrang hat auch bei der Betrachtung der baulichen Aspekte und der rechtlichen Rahmenbedingungen in den Vorträgen Der Rollator im Räumungskonzept (Steinhofer Ingenieure) und Planen für Menschen mit besonderen Herausforderungen (Konrad Seyfert, LVR) eine ganze Reihe offenere Fragen aufgeführt. Kontrovers diskutiert wurde zum Beispiel auch die Frage, ob spezielle Fluchtwege für z.B. Rollstuhlnutzer mit dem Gedanken der Teilhabe zu vereinbaren seien (was eine ebenfalls interessante Diskussion darüber hat starten lassen, wer denn eigentlich diese Wege auch entsprechend gekennzeichnet hat). Wir können definitiv schon einmal sagen, dass uns dieses Thema sicherlich weiter begleiten wird.
Themenschwerpunkt 3 – Veranstaltungssicherheit 2017: Best Practice
Die best practice sessions haben sich zu einem festen Bestandteil der Fachtagung entwickelt. Hier gilt es nicht, sich selbst zu beweihräuchern, sondern auch Schwierigkeiten in der Planung und Umsetzung eines Großereignisses vorzustellen und sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Der Schwerpunkt bot also beste Voraussetzungen voneinander zu lernen. Zunächst zeigte Moderator Lars Riemann im ersten Vortrag den langen Weg der Festivallocation „Ferropolis“ auf, der nur mit separaten Bauanträgen und Einzelgenehmigungen begann und durch gute behördliche Zusammenarbeit und externe Mediation zu einer zur permanenten Spielstättengenehmigung führte.
Anschließend stellte Stefan Kirchner das Pilotprojekt: Warnsysteme für Wettergefahren im Rahmen von Fußballspielen vor. Die anschließende Diskussion im Plenum hat gezeigt, dass viele Aspekte aus den dargestellten Beispielen auch für die sehr speziellen und individuellen Anforderungen der Eventbranche durchaus anwendbar sind – genauso wie auch das spannende Best Practice-Beispiel Lenken und Sperren im öffentlichen Raum am Beispiel „Grand Depart Düsseldorf von Referent Bernd Belka (Special Security Services), mit dem wir uns noch einmal ausführlicher im nächsten MAGAZIN beschäftigen werden.
Abgeschlossen wurde der Themenschwerpunkt mit dem Vortrag von Konrad Seyfried (LVR) zum Thema „Veranstaltungen für Menschen mit besonderen Herausforderungen“ am Beispiel des Tags der Begegnung 2017, einer annähernd vollkommen barrierefreien Veranstaltung.
Themenschwerpunkt 4 – Rechtsfragen der Veranstaltungswelt
Unter dem Titel Sicher – aber richtig! Sicherheit und Recht – die aktuellen Herausforderungen wurden unter großem Publikumszuspruch Rechts- und Versicherungsfragen der Veranstaltungswelt gestellt und mit den anwesenden Rechtsanwälten Daniel Schlatter (Schlatter & Zahl) und Martin Reitmaier (Reitmaier Rechtsanwälte) sowie Christian Raith (erpam) diskutiert. Daniel Schlatter wird im kommenden Magazin ausführlich auf gestellte und diskutierte Fragen sowie aktuelle Beispiele eingehen.
Themenschwerpunkt 5 – Moderne Sicherheitsplanung
Im Themenschwerpunkt „Moderne Sicherheitsplanung“ ging es in den ersten beiden Vorträgen um Personenströme, deren Berechnung und Überwachung. Natalie Waldau-Drexler (Ingenieurbüro WALDAU) gab in ihrem Vortrag “Ein bisschen Mathematik” – Handrechenverfahren versus Ingenieurmethoden einen interessanten Überblick über die statischen Berechnungsmodelle zu Personenströmen, vor allem in Hinblick auf Fluchtsituationen. Neben den vielen Normen im ersten Teil sprach sie im zweiten Teil über dynamische Berechnungen, die auf Simulationen beruhen. Dabei betonte sie unter anderem, dass die eigentliche Arbeit einer Fluchtsimulation darin liege, die Pläne in das Programm einzufügen und die vielen Parameter festzulegen. Sie erläuterte, dass Simulationen oft Möglichkeiten aufzeigen können, Fluchtwege zu ändern, das tatsächliche Ergebnis aber oft auch gar nicht so weit von dem der statischen Berechnung am Papier entfernt ist.
Im zweiten Vortrag Personenströme messen, überwachen, lenken: Intelligente Lösungen und neue Methoden erklärte Prof. Dr. Paul Lukowicz (DFKI) wie sich tatsächliche Personenströme auswerten lassen. Er zeigte dabei mehrere eindrucksvolle Beispiele verschiedener Veranstaltungen und Messen, bei denen Besucher über ihre Smartphones und verfolgt und analysiert wurden. Dabei wurden einerseits GPS-Daten erfasst aber auch WLAN- und Bluetoothverbindungen überwacht, um den Weg eines Besuchers zu verfolgen. Prof. Lukowicz erklärte, dass man solche Daten auch direkt während der Veranstaltung verwenden könne, um Personenströme zu lenken. In der sehr angeregten und kritischen Diskussion nach dem Vortrag erzählten Teilnehmer, die solche Methoden schon verwendet hatten, von den erzielten Erfolgen im Bereich Stauvermeidung etc.
Der dritte Vortragende, Georg Geczek (Competence Center Event Safety Management), beschäftigte sich in seinem Vortrag Sicherheit durch Handlungssicherheit: Planspiele & Übungenmit einem weiteren Pfeiler der modernen Sicherheitsplanung: Das Üben. Er gab einen Überblick über die verschiedenen Arten von Übungen – beginnend bei der kleinen Kommunikationsübung bis zur Gesamtübung eines Großrettungseinsatzes. Als sehr erfahrener Übungsleiter und -teilnehmer brachte Geczek auch viele positive aber auch einige negative Beispiele wie Übungen ablaufen können.
Themenschwerpunkt 6 – Die (nicht mehr) neuen Bedrohungslagen
Der Themenstrang 6 „Umgang mit der (nicht mehr) neuen Bedrohungslage“ war geprägt von intensiven Diskussionen, beeindruckenden Erfahrungsberichten und mehr oder weniger resignierten Feststellungen.
Geführt unter der Leitung des Moderators Hans-Joachim Kensbock-Rieso, der in seinem Einführungsvortrag in die allgemeine Sicherheitslage einführte, ging es anschließend noch einmal zurück in das Jahr 2015. Coralie Berael (Forest National), Sicherheitsbeauftragte einer großen Konzerthalle in Brüssel (BE), gab einen sehr eindrucksvollen Einblick sowohl in die eigene Gefühlslage als auch die faktischen Notwendigkeiten in Bezug auf das Veranstalten inmitten einer konkreten Bedrohungslage. Besonders betont wurde das vertrauensvolle Miteinander zwischen ihr und der Polizei – das letztendlich dazu führte, dass nicht eine überstürzte „Hauruck“-Maßnahme umgesetzt wurde, sondern dass gelernte Prozedere umgesetzt und in der notwendigen Ruheumgesetzt werden konnten. Eine Voraussetzung, die in der nachfolgenden Diskussion von den Teilnehmern zwar als unbedingt wichtig und notwendig bewertet, in der (deutschen) Realität aber eher als nicht vorhanden eingestuft wurden.
Sean Williams (Blue Owl Events Ltd.), ehemaliger Polizeihauptkommissar aus London, betonte in seinem Vortrag noch einmal die Notwendigkeit, das Thema unaufgeregt und pragmatisch zu betrachten. „good housekeeping“ statt „vehicle mitigation barrieres“ (oder „in Ergänzung zu“), Vorbereitung auf richtiges Handeln durch Ratgeber und Checklisten statt Meinungsbildung über die Medien, nachdem etwas passiert ist. Auch hier wurde die unbedingte Notwendigkeit des kooperativen Miteinanders noch einmal betont.
In der anschließenden von Martin Houbé (Special Security Services) geleiteten Diskussionsrunde wurden diese Anforderungen und Erwartungshaltungen dann noch einmal zusammenfassend diskutiert. In seinem Einführungsvortrag stellte Martin Houbé zu recht noch einmal die Frage, was man den eigentlich von den Kräften der Sicherheits- & Ordnungsdienste erwarte und erwarten können – verbunden mit z.B. der Frage, welche Aussagekraft eigentlich ein Führungszeugnis oder eine Zuverlässigkeitsüberprüfung hat.
Hans-Joachim Kensbock-Rieso setzte hier in der Diskussionsrunde an und beschrieb noch einmal die auf der einen Seite hohe Erwartungshaltung von Seiten der Polizei an die Aufgaben der Sicherheits- & Ordnungsdienste – verbunden mit einer gleichermaßen aber extrem schlechten Meinung in Bezug auf deren Leistungsfähigkeit. Im Folgenden wurden insbesondere die Herausforderungen durch sich plötzlich ändernde Anforderungen (als Reaktion z.B. auf einen Anschlag), Zugangskontrollsysteme und – möglichkeiten sowie lockdown procedures diskutiert.
Alles in allem hat der Themenstrang 6 zwar großen Input geliefert, aber nur wenige Fragen konkret beantwortet – was nicht an der Qualität der Teilnehmer, Referenten oder Hosts lag, sondern diese (unsere) Realität widerspiegelt, dass uns die Antworten auf den größten Teil der Fragen einfach noch fehlt.
Mehr zu den Vorträgen lässt sich in der nächsten Ausgabe unseres MAGAZINS für Sicherheitskultur nachlesen.
Fotos: Event Partner / matzke-foto